Definition: Die Anthroposophie ist eine ganzheitliche Weltanschauung, die von Rudolf Steiner (1861–1925) begründet wurde. Sie verbindet Philosophie, Wissenschaft, Spiritualität und Kunst, um ein umfassendes Verständnis des Menschen und seiner Beziehung zur Welt zu entwickeln. Der Begriff „Anthroposophie“ bedeutet wörtlich „Weisheit vom Menschen“ (griech. ánthropos = Mensch, sophía = Weisheit).
1. Grundprinzipien der Anthroposophie
Die Anthroposophie beruht auf folgenden zentralen Konzepten:

1.1. Geistige Welt als Realität
- Neben der materiellen Welt existiert eine geistige Welt, die durch bewusstseinserweiternde Schulung erfahrbar ist.
- Der Mensch besitzt eine höhere geistige Natur, die durch Meditation und Erkenntnis vertieft werden kann.
1.2. Dreigliederung des Menschen
Steiner unterteilte den Menschen in drei Wesensglieder:
- Leib (Körper) – physische Ebene
- Seele – emotionale und psychische Ebene
- Geist – spirituelle Ebene
Darüber hinaus beschreibt die Anthroposophie vier Daseinsebenen des Menschen:
- Physischer Leib (sichtbarer Körper)
- Ätherleib (Lebenskräfte)
- Astralleib (Seelenkräfte, Emotionen)
- Ich-Leib (individuelle geistige Identität)
1.3. Reinkarnation und Karma
- Der Mensch durchläuft mehrere Inkarnationen, um sich geistig weiterzuentwickeln.
- Handlungen in einem Leben beeinflussen zukünftige Leben (Karma).

2. Anwendungsbereiche der Anthroposophie
Die Anthroposophie hat praktische Anwendungen in verschiedenen Bereichen:
2.1. Waldorfpädagogik
- Gegründet von Rudolf Steiner (1919) mit Fokus auf individuelle Förderung und ganzheitliche Bildung.
- Verknüpft künstlerische, intellektuelle und praktische Lernansätze.
- Altersgerechtes Lernen nach der Entwicklungspsychologie Steiners.
2.2. Anthroposophische Medizin
- Kombiniert Schulmedizin mit natürlichen Heilmethoden.
- Stärkt die Selbstheilungskräfte des Organismus. Zudem zählt Fürsorge und Wohlbefinden eine sehr große Rolle.
- Verwendet Arzneimittel aus pflanzlichen, mineralischen und tierischen Substanzen (z. B. Weleda).
2.3. Anthroposophische Tiermedizin
Anthroposophie findet auch in der Tiermedizin Anwendung und wird bis heute praktiziert. Die anthroposophische Tiermedizin betrachtet Tiere ganzheitlich, wobei sowohl körperliche als auch seelische Aspekte berücksichtigt werden. Sie zielt darauf ab, die Selbstheilungskräfte der Tiere zu aktivieren und das Gleichgewicht zwischen Körper, Seele und Geist wiederherzustellen.
Grundprinzipien der anthroposophischen Tiermedizin:
- Ganzheitlicher Ansatz: Berücksichtigung der physischen, seelischen und geistigen Aspekte des Tieres.
- Artgerechte Haltung und Ernährung: Prävention von Krankheiten durch optimale Lebensbedingungen.
- Einsatz natürlicher Heilmittel: Verwendung von Arzneien aus pflanzlichen, mineralischen und tierischen Substanzen, die nach speziellen Verfahren hergestellt werden.
- Mensch-Tier-Beziehung: Anerkennung des Einflusses des Menschen auf die Gesundheit des Tieres.
Aktuelle Anwendung:
Die anthroposophische Tiermedizin wird heute in verschiedenen Bereichen eingesetzt:
- Therapie: Behandlung von akuten und chronischen Erkrankungen mit natürlichen Heilmitteln.
- Prävention: Förderung der Gesundheit durch artgerechte Haltung und Ernährung.
- Forschung und Weiterbildung: Organisation von Fort- und Weiterbildungsseminaren im Bereich der ganzheitlichen Tiermedizin.
Die Gesellschaft für Ganzheitliche Tiermedizin e.V. (GGTM) bietet regelmäßig Seminare und Kongresse an, die sich mit Themen der anthroposophischen Tiermedizin befassen. Beispielsweise fand der 22. Internationale Kongress für Ganzheitliche Tiermedizin statt, bei dem auch die Fachgruppe für anthroposophische Tiermedizin (Dr. Markus Steiner) vertreten war.
2.4. Biodynamische Landwirtschaft (Demeter)
- Ganzheitlicher Ansatz der Landwirtschaft mit kosmischen Rhythmen (Mondphasen etc.).
- Verzicht auf synthetische Düngemittel; stattdessen Nutzung spezieller Präparate.
- Förderung der Bodengesundheit und Biodiversität.
2.5. Soziale Dreigliederung
- Gesellschaftliches Modell, das die Gesellschaft in drei Bereiche unterteilt:
- Geistesleben (Bildung, Wissenschaft, Kunst – frei und individuell)
- Rechtsleben (Politik, Gesetze – Gleichheit für alle)
- Wirtschaftsleben (Produktion, Handel – Brüderlichkeit und Kooperation)

Die Anthroposophie ist eine interdisziplinäre, spirituell-philosophische Weltanschauung, die darauf abzielt, das Verständnis des Menschen und seiner Umwelt zu erweitern. Sie hat bedeutenden Einfluss auf Bildung, Medizin und Landwirtschaft genommen, bleibt jedoch in einigen Bereichen wissenschaftlich umstritten. Die Anthroposophie wird sowohl geschätzt als auch kritisch hinterfragt:
Positiv:
- Ganzheitlicher Ansatz mit Betonung auf persönliche Entwicklung.
- Einfluss auf alternative Medizin, Bildung und Landwirtschaft.
- Förderung eines bewussten, nachhaltigen Lebensstils.
Kritikpunkte:
- Wissenschaftliche Nachweisbarkeit der geistigen Welt fehlt.
- Manche anthroposophische Ansichten (z. B. über Impfungen oder Karma) sind umstritten.
- Kritische Auseinandersetzung mit hierarchischen Strukturen innerhalb anthroposophischer Institutionen.
Fazit: Wissenschaftlich umstritten und oft als esoterisch abgestempelt, ist der ganzheitliche Ansatz durchaus interessant. Ein schönes Video über Steiners Anthroposophie gibt es hier: zum Video. Jedoch scheint es hier genauso zu sein wie bei allen Ansätzen: DIE Anthroposophie gibt es nicht – es ist immer der ausführende Mensch, der dahintersteht und interpretiert. Es gilt also auch hier: kritisch hinterfragen und eigene Meinung bilden.