Dimitri war nicht von dieser Welt. Er war ein Engel in Gestalt eines wunderschönen Pferdes.
Zum allerersten Mal sah ich ihn als kleinen Hengst 2002 im zarten Alter von 3 Monaten. Damals noch bei seiner Mama im Schwarzwald, eroberte er das Herz von mir und meiner Mutter im Sturm und wurde kurz darauf ein neues Familienmitglied.
Nachdem er einige Zeit auf einer Fohlenweide verbringen durfte, holten wir den (zu früh) kastrierten kleinen Mann zu uns, damals noch in die Nähe von München. Dimitri wurde in eine etwa 12 Pferde große Herde integriert, die Herdenmitglieder waren von 3 bis 20 Jahre, also eine richtige Familie. Er kannte bis dahin nur Schwarzwälder Füchse und war demenstprechend fasziniert, als er die bunte Mischung an Rassen und Farben dieser Pferde sah. Besonders fasziniert war er von einem älteren Shettlandpony. Er hatte einen Lieblingskumpel, der nur etwas älter war als er, mit dem er ziemlich viel Blödsinn trieb und den Hofbesitzer demöfter zum Schwitzen brachte. Unser damals erstes Pferd, eine Schwarzwälder Stute, mochte Dimitri nicht besonders, ließ ihn aber in Ruhe.
Während meine Mutter und ich uns sehr bemühten, ihm eine kindergerechte und gleichzeitig kurzweilige Ausbildung in Sachen führen, spazierengehen und leichter Bodenarbeit angedeihen zu lassen, wuchs er zu einem jungen Mann heran. Dimitri war schon immer sehr lieb, ausgeglichen in Wesen und hatte vor nichts Angst. Nicht einmal, als wir (damals noch unwissend und naiv) einen großen Stephaniritt mit ihm mitmachten: wir führten den Einjährigen am Halfter, inmitten von zig Pferden, Kutschen und Menschenmengen. Sogar eine Blaskapelle war anwesend, neben der wir mit dem jungen Pferd anhalten mussten. Doch anstatt sich zu erschrecken, steckte er sein Maul in die Öffnung einer Tuba um nachzusehen, ob da etwas zu fressen drin war, was für große Erheiterung bei den Musikern sorgte.
Im Alter von drei Jahren wurde er von Petra Dürr zum Reitpferd ausgebildet. Heute wissen wir, dass das zu früh war, aber damals wurde es für „normal“ gehalten. Dimitri war schon immer sehr sensibel und reagierte sehr prompt und willig. Er war wirklich ein Lämmchen für sein Alter. Ich – damals 14 Jahre alt – konnte ihn problemlos sowohl in der Halle als auch im Gelände reiten. Weil er mir an heißen Sommertagen so Leid tat, als ich im das dicke Wollpad unter den Westernsattel auf den Rücken legen wollte, beschloss ich in meinem jugendlichen Leichtsinn, ihn einfach ohne Sattel zu reiten. Dass das durchaus gefährlich sein kann bei einem jungen Pferd, welches das noch nicht kennt, kam mir nicht in den Sinn. Doch Dimitri war so dankbar, er machte brav mit. Das weckte in mir die Neugier: wenn es ohne Sattel ging – ging es auch ohne Gebiss? Und es ging. Dimitri reagierte genauso gut wie mit Gebiss. Also steigerte ich mich nochmal, indem ich auch das Halfter wegließ und nur mit einem Strick, den ich um seinen Hals band, ritt. Es klappte tadellos. Das war die Geburt meiner Freiarbeit. Die anderen Reiter am Hof waren fasziniert und begeistert, und ich freue mich jedes Mal wie ein Schnitzel, wenn ich jetzt auf die Website von Petra Dürr schaue und sehe, dass sie seitdem Kurse im Reiten ohne Trense anbietet. Man kann also auch schon in jungen Jahren Menschen inspirieren…
Als wir schließlich aus München raus aufs Land zogen, wurde die Verbindung zwischen mir und Dimitri immer tiefer und besser. Wir wohnten nur wenige Kilometer vom Hof entfernt und daher konnte ich problemlos mit dem Fahrrad dorthin fahren. Ich verbrachte fast jede freie Minute mit ihm, brachte ihm das Ziehen mithilfe eines Bekannten bei, der uns auch einen kleinen Ponysulky gab, den wir umbauten. Das Reiten ohne alles perfektionierten wir soweit, dass ich bald auch ohne Halsring reiten konnte – nur ich und Dimitri. Er machte alles: vorwärts, rückwärts, seitwärts, Galoppwechsel. Sogar das Bogenschießen von seinem Rücken aus war kein Thema, oder das Reiten im Stehen. Skijöring, einspännig und zweispännig fahren – alles kein Problem. Dimitri machte das alles so lieb, und er liebte das Ziehen besonders.
Aber noch viel mehr liebte er Zirzensik. Besonders vom Podest war er nur schwer herunterzubekommen. Sah er es, stieg er drauf. Egal, ob dort schon ein anderes Pferd stand. Auch ist er bisher das einzige Pferd, das nicht nur flehmen, sondern richtig lachen konnte (oben sichtbar). Außerdem war er ein geborenes Showpferd: er liebte großes Publikum und viel Aufruhr. Als ich mit ihm 2006 auf Pferd International in München mitritt, war er sehr souverän und ruhig, als ob er nie etwas anderes gemacht hätte. Und auch bei anderen Umritten, Kursen mit vielen Pferden und Kinderfesten freute er sich immer, wenn er viel Aufmerksamkeit bekam. Dabei ließ er sich bei einer Fahnenweihe auch von mehreren, sehr lauten Salutschüssen nicht davon abhalten, die Blumendekoration von der Vereinskutsche fressen zu wollen…
Und er war unerschrocken. Egal, ob ein großer Traktor mit Güllefass eng an uns vorbeifuhr, er zwischen zwei laufenden (!) Mähdreschern ein Feld entlanglief oder ein Show-Ritter in voller Rüstung auf ihn zuschritt, um ihn zu streicheln – Dimitri hatte keine Furcht!
Dimitri hatte nur ein Problem: er war sehr sonnenlichtempfindlich. Er musste immer eine UV-Schutz-Fliegenmaske tragen, auf dessen Nasenteil wir einen Stoff nähten, damit er vollständig vor der Sonne geschützt war. Und wir mussten ihm immer die Nase mit Sonnencreme SF50 eincremen, auch im Winter. Taten wir es nicht, so verlor er alle Haare am Kopf, sein Pigment (es wurde rosa), bekam eine dicke Verkrustung auf die empfindliche Nasenhaut und rote, entzündete Augen. Nach einigen Aufenthalten in der Klinik wussten wir, dass er früher oder später Hautkrebs bekommen würde. Also passten wir auf ihn auf, so gut es möglich war.
Dimitri war mein bester Freund, mein Rettungsanker in einer Zeit, in der ich mich sehr oft verloren und fehl am Platz fühlte. Ich wusste, er war immer für mich da und liebte mich, genauso wie ich war. Und ich liebte ihn, so sehr.
Doch dann, eines Junitages 2014, war plötzlich alles anders. Mein geliebter Dimitri, der mich durch meine Jugend hindurch begleitet hatte, mit dem ich aufgewachsen war, mein bester Freund – er war nicht mehr da. Einfach so. Weg. Am Abend zuvor war noch alles wie immer gewesen: die Pferde waren munter und freuten sich über das Abendheu. „Schlaft gut, bis morgen!“, das war mein täglicher Abschiedssatz an sie. Doch dieses Mal gab es kein Morgen mehr. Dimitri war über nacht völlig überraschend über die Regenbogenbrücke gegangen. Nun lag er tot auf der Koppel, einfach so. Kein Schweiß, keine Anzeichen eines Kampfes, nichts. Er lag da, als würde er schlafen. Ich verstand erst, dass er wirklich nicht mehr in diesem Körper war, als ich ihn anfasste: sein Fell glänzte in der Sonne, doch der Pferdekörper war kalt, leblos und steif.
In diesem Augenblick brach für mich eine Welt zusammen. Wie konnte mein bester Freund, mein Lebensinhalt, einfach so nicht mehr da sein? Ich hatte das Gefühl, als ob ich nie wieder glücklich sein konnte. Ich war tieftraurig, dann wütend, dann wieder traurig. So ging das etwa zwei Wochen lang. Ich traute mich kaum in den Stall, um mit meiner Mutter zusammen die anderen beiden Pferde zu versorgen. Zuerst beschloss ich, nie wieder ein Pferd haben zu wollen. Es zu verlieren tat einfach zu weh! Doch Fritz änderte meinen Plan …
Dimitri hatte das beste Leben, das wir ihm bieten konnten. Wir haben sicher auch Fehler gemacht, dennoch bin ich mir sicher, dass er bei uns glücklich war. Er hat für immer einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen, und ich bin sehr dankbar für die 11 schönen Jahre, die wir zusammen erleben durften. Ich habe sehr viel gelernt, sehr viele Erfahrungen mit ihm sammeln dürfen und denke noch oft an ihn.
In Gedenken an Dimitri, ein ganz besonderes Pferd. Ich liebe dich, wir sehen uns wieder.